Fische schließen nie die Augen by Erri DeLuca
Autor:Erri DeLuca [DeLuca, Erri]
Die sprache: deu
Format: epub
Tags: Roman
Herausgeber: Ullstein Buchverlage GmbH, Berlin
veröffentlicht: 2015-03-26T16:00:00+00:00
AM NÄCHSTEN TAG überredete ich Mama, mit mir zum Strand hinunterzugehen. Ich versprach, nicht unterzutauchen, nur bis zum Hals. Die Lippe war nachts abgeschwollen, das Dunkle um die Augen ein wenig verblasst. Ich war fast vorzeigbar, nur der Verband über der Nase und die Naht auf der Stirn waren noch da. Ich kaufte mir ein Rätselheft. Der Bademeister spannte uns einen Schirm auf, dann kehrte er mit einem Eis für mich zurück. Wir waren unter den Ersten am Strand. Ich ging schwimmen, das Salz brannte auf den Rippen und Schultern, nach kurzer Zeit kam ich wieder heraus, damit der Schorf nicht aufweichte. Dann vertiefte ich mich in mein Rätselheft und blickte erst wieder auf, als sie da war. Ich stand auf, um Hallo zu sagen und auch um zu überprüfen, ob der Zentimeter etwas an mir änderte, wenn ich vor ihr stand. Aber ich hatte den Eindruck, als wäre nicht ich, sondern sie gewachsen. Ihre Gesten waren ruhig und entschlossen, sie kam näher, um den Verband und die Stirn zu kontrollieren. Sie schlug vor, schwimmen zu gehen, eine Aufforderung, die zwingender war als ein Befehl. Statt hineinzuspringen, ging ich langsam wie ein Betrunkener ins Wasser. Als wir so weit waren, wo wir nicht mehr stehen konnten, sagte sie Sachen, die ich nicht verstand. Sie bat mich, sie nicht zu verurteilen für das Verhalten, das ich in den nächsten Tagen bei ihr sehen würde.
»Ich werde am Strand ein bisschen kühl zu dir sein, kümmere dich nicht darum. Wir werden nicht zusammen schwimmen, aber wir versuchen, uns nachmittags zu sehen, einverstanden?«
Ich bejahte verwirrt, unter Wasser nahm sie meine Hand und drückte sie. Ihre Hand war nicht Perlmutt, nicht Brot, sie war Strömung.
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